David Berger

Anton Ziegenaus über Kirche und Sakramente

Bereits der Umfang des hier zu besprechenden Bandes lässt – vergleicht man ihn etwa mit dem Christologieband des Gesamtwerkes [1]– den Autor als ausgewiesenen Fachmann auf dem behandelten Gebiet erkennen.

Ziegenaus setzt zunächst fundamentaltheologisch ein: Da die Sakramente zeichenhafte Handlungen sind, spielt hier das symbolische Wirklichkeitsverständnis eine unverzichtbare Rolle. So eröffnen auch Überlegungen zur Abbildhaftigkeit der geschaffenen Wirklichkeit, in der der Mensch als Zentralsymbol, als Gottes Ebenbild, bei dem Leib und leibliche Handlungen sich als zeichenhafter Ausdruck seines seelischen seins erweisen, steht. Aufgrund dieser Konstitution kann er „nicht leben ohne zu symbolisieren.“ Das religiöse Symbol wird zum Ausdruck des Verlangens des Menschen nach Heil.

Von da aus führen die Überlegungen des Autors direkt zu Jesus Christus, der als Gottmensch das Ursakrament ist, in dem sich Wort und sichtbare Erscheinung, Gott und Mensch auf einmalige Weise vereinen: „Jesu ganzes Sein und Handeln ist, aufgrund seiner gott-menschlichen Konstitution sakramental.“ (18) Von daher ist er auch als das Ursakrament zu bezeichnen.

In diesem Ursakrament, näherhin in der menschlichen Natur Jesu Christi (Ziegenaus verzichtet hier darauf, die hilfreiche Lehre von der Instrumentalursächlichkeit einzusetzen), wurzeln gleichsam zwei untrennbar miteinander verbundene sakramental Entfaltungsgrößen: Die Kirche sowie die sieben Sakramente. So gliedert sich der Band auch in zwei große Teile: Zunächst die Ekklesiologie, dann die Sakramentenlehre im engeren Sinne.

Der Traktat über die Kirche, den man lange Zeit unvorteilhafterweise der Apologetik überließ, ist hier strikt trinitarisch-heilsgeschichtlich fundiert und daher im echten Sinne dogmatisch. Ziegenaus bemüht sich hier – entgegen dem seit dem II. Vaticanum vorherrschenden Trend – das Leib-Christi- und das Volk-Gottes-Modell gerade nicht als Gegensätze, sondern mit Lumen gentium als sich ergänzende Aspekte des einen Mysteriums der Kirche zu fassen: „Die Kirche ist Volk Gottes, Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes, aber diese drei Perspektiven sind in ihrer Konvergenz zu verstehen.“ (43) Ausführlich wird im Traktat über die innere Strukturierung der Kirche nicht nur der päpstliche Primat, sondern auch der nach wie vor intensiv diskutierte Status der Bischofskonferenzen dargestellt. Ergebnis: „Eine eigentliche lehramtliche Stellung wird der Bischofskonferenz nicht zuerkannt. Gerade in dieser Hinsicht wird heute nicht selten versucht, die Bischofskonferenz aufzuwerten.“ Und zwar mit der Absicht, eine machtvolle kritische Zwischeninstanz zwischen den Papst und die Ortsbischöfe zu etablieren, die sich dem angeblichen Zentralismus Roms wiedersetzt. Darauf antwortet der Autor unmissverständlich: „Die iure ecclesiastico begründete Bischofskonferenz kann nicht als Zwischeninstanz und Gegengewicht gegen den iure divino begründeten Primat und die Sendung des einzelnen Bischofs anerkannt werden.“ (97)

Der Ekklesiologie schließt sich organisch der Traktat über die Sakramente im allgemeinen an, in dem der Verfasser die „Tiefe und das Wesen der Einzelsakramente als Christustat durch die Kirche zu Bewusstsein“ (123) bringen möchte.

Auch hier ist es wieder nur möglich, auf einen interessanten Punkt hinzuweisen: Angesichts der zunehmenden Aufweichung dieser Lehre betont Ziegenaus mit großem Nachdruck die wesentliche Unveränderlichkeit des einmal von Christus eingesetzten und durch die Apostel überlieferten Zeichens der Sakramente: „Sacrosanctum Concilium hat durchaus den Einbau gewisser Riten aus dem Brauchtum der Völker [in die Liturgie der Sakramente] erlaubt, soweit diese Riten ‚nicht unlöslich mit Aberglauben verflochten’ sind, aber diese Erlaubnis bezieht sich nicht auf die Materie der Sakramente. Diese gehört zum Wesensbestand, zur ‚Integrität der Sakramente’ (DH 1061), zur ‚Substanz’ (vgl. DH 1699; 1728). Über die Substanz hat die Kirche keine Vollmacht, nur über die ... Riten, die sie selbst eingeführt hat. deshalb kann festgehalten werden: Die Kirche hat in ihrer Praxis (trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten) und Lehre zwar das Recht auf gewisse Änderungen in der Liturgie der Sakramente in Anspruch genommen, aber dabei immer eine Vollmacht im Hinblick auf das Wesen, zu dem auch die Zeichenebene gehört, verneint.“ (140-141) Was der Autor hier über die Materie ausführt, gilt natürlich a fortiori auch für die Form der Sakramente, die zusammen mit der Materie erst die Substanz konstituiert. Von daher erklärt sich auch die mutige Kritik, die Ziegenaus an der vieldiskutierten Anerkennung der Anaphora des Addai und Mari übt: Ausdrücklich stellt er fest, dass dieses Hochgebet keinen Einsetzungsbericht kennt: „Die vatikanischen Richtlinien berufen sich zunächst auf UR, Nr. 15 (in der assyrischen Kirche des Ostens ‚finden sich wahre Sakramente, vor allem in der Kraft der apostolischen Sukkzession das Priestertum und die Eucharistie’) und erklärt dann: ‚Schließlich sind die Worte der eucharistischen Einsetzung in der Anaphora von Addai und Mari tatsächlich vorhanden, zwar nicht als fortlaufender Bericht und ‚ad litteram’, aber an verschiedenen Stellen und euchologisch, das heißt sie sind in die nachfolgenden Gebete der Danksagung, des Lobpreises und der Fürbitten eingeflochten’. Der Zweifel und die Praxis der ganzen kirchlichen und theologischen Tradition in Hinblick auf die Anaphora bzw. auf die gesamte ökumenische Gewohnheit, die beim Abendmahl immer die Stiftungsworte Jesu wiederholt, scheint hier beiseite geschoben zu sein. Oder doch nicht? Denn wenn diese Anaphora korrekt ist, bedürfte es nicht der Ermutigung an die assyrischen Priester ‚in die Anaphora von Addai und Mari die Einsetzungsworte einzufügen’. Die Applikation der allgemein richtigen Bemerkung in UR auf den Sonderfall der Anaphora von Addai und Mari ... kann nicht überzeugen und ist eher ein Beleg für argumentative Nöte.“ (327). Die Auseinandersetzung mit der Anerkennung der Anaphora von Addai und Mari zeigt nicht nur klares theologisches Unterscheidungsvermögen, sondern auch das Bemühen bezüglich der Diskussionen um die Sakramentenlehre auf dem neusten Stand zu sein. Zugleich manifestiert sich hier, dass eine respektvolle und sachliche Kritik an dieser vatikanischen Entscheidung durchaus zulässig und noch kein Grund ist, Ketzerhüte zu verteilen.

Ebenso klar und eng angelehnt an die lebendige Tradition der Kirche werden die sakramentale Gnade, der character indelebilis sowie die objektive Wirksamkeit und Wirkweise der Sakramente erklärt. Seine Darlegung der Einsetzung der Sakramente durch Christus bereichert Ziegenaus durch eine scharfsinnige kritische Auseinandersetzung mit der Theorie Rahners von der impliziten Stiftung der Sakramente durch Christus (175-178).

Den weitaus größten Raum nimmt erwartungsgemäß die spezielle Sakramentenlehre ein: Wie bereits in der Ekklesiologie und der allgemeinen Sakramentenlehre bemüht sich der Verfasser hier auch um eine breite biblische Grundlegung, gestützt auf eine profunde Kenntnis der neueren exegetischen Literatur. Vielleicht ist dies überhaupt – gegenüber vielen neuscholastischen, aber auch transzendentaltheologische vorgehenden Lehrbüchern der Dogmatik – eine der Stärken der von Kardinal Scheffczyk und Ziegenaus verfassten Dogmatik: dass sie den tiefen Graben, der zwischen systematischer Theologie auf der einen und der Exegese auf der anderen Seite in der Theologie seit vielen Jahren klafft, souverän zu überbrücken im Stande ist. Auch bei der Darstellung der einzelnen Sakramente spricht Ziegenaus immer wieder aktuelle Fragen an: das Problem der Kindertaufe, die Frage nach dem Firmalter, die Ersetzung des Begriffs der Transsubstantiation durch Transfinalisation u.ä., die Frage der Interkommunion, die Diskussion um das Frauenpriestertum sowie die irreguläre Situation der wiederverheirateten Geschiedenen.

Insgesamt hat mit diesem Buch die achtbändige Dogmatik von Scheffczyk und Ziegenaus einen würdigen Abschluss gefunden. Allerdings wäre für eine Neuauflage wünschenswert, dass – ganz im Sinne eines sakramentalen Denkens – die inhaltlichen Strukturen auch nach außen hin durch einen didaktisch klügeren Aufbau sichtbar gemacht, die klassischen dogmatischen Qualifikationen angegeben und die Literaturverzeichnisse breiter und aktueller angelegt (bei dem letzten Band zeigt sich ein starkes Überwiegen der Literatur aus den 70er und frühen 80er Jahren), stärker spezialisiert auf Einzelfragen (Zeitschriftenbeiträge!) und den jeweiligen Kurztraktaten folgend differenziert plaziert werden.

Anton Ziegenaus: Die Heilsgegenwart in der Kirche. Sakramente (Katholische Dogmatik, Band VII), MM-Verlag: Aachen 2003, 646 Seiten, geb., € 40,-. ISBN 3-928272-55-1.

 


[1]Cf. dazu unsere Besprechung in: Theologisches 31 (2001) 37-41.